
Nervös kaue ich auf meine Unterlippe und starre auf das «schreibt…» unterhalb von Elios’ Name. Ich sperre mein Handy und lege es zur Seite. Mit angehaltenem Atem warte ich auf seine Antwort. Doch anstelle von einer Antwort, erhalte ich einen Face-Time Anruf. Verdammt, darauf war ich nicht vorbereitet. Schnell binde ich meine Haare zu einem Dutt zusammen und streiche mir die Babyhaare aus dem Gesicht. Mit zittrigen Fingern nehme ich den Anruf an. Ein mir bekanntes Gesicht erscheint auf meinem Bildschirm und bei seinem Anblick verdoppelt sich mein Herzschlag. Elios lächelt mich schwach an und begrüsst mich mit einem kratzigen »Hallo Ayla«. Schmerzhaft zieht sich etwas in meiner Brust zusammen. Verkrampft begrüsse ich ihn zurück und warte, bis er weiterredet. Keiner von uns sagt was. Eine Stille herrscht über uns, die so unangenehm ist, dass es wehtut. »Wie geht es dir?«, fragt er. Ich habe eigentlich keine Lust auf Smalltalk, doch etwas anderes bleibt mir nicht übrig. Elios interessiert sich noch immer für mein Wohlbefinden. »Könnte mir besser gehen, aber das wird schon. Und wie geht es dir?« »Geht mir genauso.« Elios sieht mich direkt an und ich wende meinen Blick von meinem Handy ab. »Hör zu Ayla, ich will gerne auf den Punkt kommen und dir erklären, was damals auf Mallorca passiert ist. Doch bevor ich das tue, möchte ich mich nochmals bei dir entschuldigen. Es war nicht fair von mir, mich so dir gegenüber zu verhalten. Ich habe mit meiner Art alles kaputtgemacht, was wir hatten.« Ich schlucke meine Tränen herunter und schaue Elios an. Auch wenn für mich nie klar war, was wir genau hatten, wusste ich schon immer, dass es von grosser Bedeutung war. Elios setzt fort: »Auf Mallorca habe ich dir erzählt, dass ich eine Schwester habe, Xenia. Sie ist meine jüngere Schwester und sie ist vor sechs Jahren von Zuhause abgehauen, mit ihrem Freund. Meine Eltern waren dagegen, dass sie so jung von Zuhause auszieht, um auf Paros mit ihrem Freund zu leben. Sie hielten nicht viel von ihrem Freund. Sagten, er sei nicht der richtige für sie und er bringt sie von ihrem Weg ab. Meine Schwester hatte immer grosse Ziele und fing schon früh zu studieren an, um Lehrerin zu werden. Doch als sie Efstathios kennenlernte, wollte sie von ihrem alten Leben nichts mehr wissen. Eines Tages stritten sie und meine Eltern so heftig, dass sie ihre Sachen packte und loszog. Ich war der Einzige der wusste, wo sie war. Sie änderte ihre Handynummer und zog mit Efstathios nach Paros. Eine kleine griechische Insel. Seit Xenia ausgezogen ist, sind meine Eltern nicht mehr die, die sie einmal waren. Das war ein weiterer Grund für mich und Lambros, nach Zakynthos zu ziehen, um das Fahrzeuggeschäft zu eröffnen. Ich schrieb ihr immer wieder. Ich hatte Hoffnung, dass sie uns besuchen würde, wenn sie wüsste, wir wären ausgezogen. Lambros wollte von Xenia nichts mehr wissen. Zu tief waren die Wunden, die sie hinterlassen hatte. Wegen ihr hatte sich unsere Familie entzweit: mein Vater und Lambros, die von Xenia nichts mehr wissen wollten, und schliesslich meine Mutter und ich, die jeden Tag darauf hofften, dass sie eines Tages zurückkehren würde, und alles wie früher sein würde. Doch dieser Tag kam nicht. Bis ich auf Mallorca war.« Elios setzt kurz aus, um ein Schluck Wasser zu trinken. Mit angehaltenem Atem schaue ich ihn an. Eine schwarze Locke hängt ihm im Gesicht. Wie gerne würde ich ihm diese sanft hinters Ohr streichen. Sein Blick ist leer. Diese Situation scheint ihn sehr zu belasten. Elios räuspert sich und fährt fort: »Ich erhielt eine Nachricht einer unbekannten Nummer. Schon bei der ersten Nachricht wusste ich sofort, dass es Xenia war. Sie bat mich, ihr zu helfen. Ich würde alles für meine Schwester tun. Wie sich herausstellte, war Efstathios nicht der, für den er sich ausgegeben hatte. Xenia wollte ihn schon lange verlassen, doch er hielt sie immer wieder davon ab. Drohte ihr, er würde sich rächen. Xenia war verzweifelt. Also tat sie das, was sie am besten konnte: abhauen. Doch sie wusste nicht wohin. Und ich war nicht da. Zu Lambros konnte sie nicht und nach Hause wollte sie nach all den Jahren nicht. Also schlug ich ihr vor, sie könnte zu Dimitrios nach Athen gehen. Doch als sie in Athen angekommen war, stellte sich heraus, dass Dimitrios auf Zakynthos war, um Lambros auszuhelfen. Ich war überzeugt, dass er die paar Tage ohne mich klarkommt, doch Lambros war zu abgelenkt von seiner neuen Freundin und rief Dimitrios an. Also zog Xenia los und besuchte unser Fahrzeuggeschäft auf Zakynthos. Doch als sie auf Lambros traf, verlief die Begegnung nicht sonderlich gut. Lambros ist sehr impulsiv, wie unser Vater und denkt nicht fertig, bevor er handelt. Aus Wut und Enttäuschung rief Lambros meine Eltern an und sagte ihnen, Xenia wäre hier auf Zakynthos. Ich war die einzige Person, die die ganze Zeit wusste, wo Xenia war. Ich war der Einzige, der über all die Jahre etwas von ihr gehört hatte. Und ich habe niemandem etwas davon gesagt. Nicht einmal meiner Mutter. Sie ist meine kleine Schwester und als ihr grosser Bruder werde ich sie immer beschützen. Sogar vor unserer Familie. Als wir auf Mallorca waren, hatte mich Xenia mehrmals angerufen und mich gebeten, nach Zakynthos zu kommen, um ihr beizustehen. Sie war alleine. Also tat ich das, was ich in diesem Moment für richtig hielt und bin gegangen. Ich habe dich alleine auf Mallorca zurückgelassen, um meiner kleinen Schwester ein guter Bruder zu sein. Ich wollte dich nicht in diese ganze Situation miteinbeziehen, wollte dir mein Familiendrama ersparen. Doch es ging nicht anders. Ich hoffe, du kannst mir verzeihen.« Völlig erstarrt schaue ich auf meinem Bildschirm. Mein Hals fühlt sich an wie zugeschnürt. »Ich… Ich wusste nicht, dass…«, beginne ich, doch ich bringe meinen Satz nicht zu Ende.
»Ich weiss, es ist alles ein bisschen viel. Aber ich finde, du hast die Wahrheit verdient. Es ging dabei nie um dich, Ayla. Bei dir war ich mir immer zu 100 Prozent sicher.» Elios schaut traurig in die Kamera. Bei diesem Anblick zieht sich mein Herz zusammen. Es ging also nie um uns. Aus Erleichterung entlockt sich eine Träne aus meinem Auge und rollt mir die Wangen runter. »War sie also dein Louloudi mou?« »Korrekt. Sie ist meine Kleine Blume. Meine kleine Xenia.« Ich stosse erleichtern meine angehaltene Luft aus. Es tut mir so wahnsinnig leid, was Elios alles durchmachen musste. Dass er diesen Druck mit sich rumgetragen hatte und mit niemandem darüber reden konnte. »Danke«, bringe ich lediglich heraus und würde ihn jetzt am liebste umarmen. »Ich würde dich jetzt gerne in den Arm nehmen«, gestehe ich leise. »Das würde ich auch gerne tun«, sagt Elios und mein Herz füllt sich mit Wärme. »Ich verzeihe dir. Aber ich kann nicht leugnen, dass du mich sehr verletzt hast mit deiner Aktion. Ich kann verstehen, warum du das getan hast. Doch das ändert nichts an meinen Gefühlen. Ich brauche einfach ein bisschen Zeit, um alles zu verarbeiten.« »Danke dir Ayla. Das kann ich absolut nachvollziehen. Und ich werde dir beweisen, dass ich das ernst meine mit uns. Es wird nicht umsonst gewesen sein.«
Elios und ich unterhalten uns noch über die letzten Wochen, was wir voneinander verpasst haben. Ich erzähle ihm von Patrizia und wie es ihr geht. Und während er mir von sich erzählt, dabei lacht und mich immer wieder ansieht, fühlt es sich wieder wie damals an. Als noch alles gut war zwischen uns. Und irgendetwas in mir sagt mir, dass das wieder so sein wird.
Fortsetzung folgt...
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