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Sommer - Kapitel 2

Aktualisiert: 26. Dez. 2023



»Glaub nicht ich hätte genug Kleider, falls du etwas vergessen haben solltest.« Patrizia richtet ihren Strohhut und sieht mich mit einem ernsten Blick an. Ich verdrehe die Augen. »Ich habe alles dabei, mach dir keine Sorgen. Im schlimmsten Fall können wir uns dort alles Nötige besorgen.« Wir befinden uns am Gate und können schon bald das Flugzeug betreten. Die letzten Monate waren schrecklich gewesen. Ständig musste ich an Leon

denken und Patrizia konnte nicht aufhören von unserem gemeinsamen Urlaub und Loris, ihrem Ex-Freund, zu reden. Die Planung unserer Ferien war zwar eine willkommene Ablenkung gewesen, doch es fällt mir noch immer schwer, mich vollkommen auf diesen Urlaub zu freuen. Doch für Patrizia setze ich ein Lächeln auf. Wir betreten das Flugzeug und stopfen unser Handgepäck in die oberen Fächer. Der Flug ist komplett ausgebucht, was nicht anders zu erwarten ist, mitten im Sommer. »Wie lange fliegen wir eigentlich?«, frage ich und schnalle mich an.

»Etwas mehr als zwei Stunden.« Patrizia schaut aus dem Fenster und kaut nervös auf ihren Lippen.

»Es wird alles gut gehen«, versuche ich sie zu beruhigen und nehme ihre Hand in meine.


Ich bücke mich etwas vor, um aus dem Fenster zu sehen. Patrizias Kopf ist angelehnt und ihre Augen geschlossen. Wir befinden uns im Sinkflug und ich beschliesse, sie sanft zu wecken. Unter uns sehe ich nichts weiter als endloses Blau. Uns erwartet wegen der kurzen Landebahn eine holprige Landung. Klatschen erfüllt den gesamten Flieger, als wir den griechischen Boden berühren. Ich blicke in Patrizias kreidebleiches Gesicht und reiche ihr meine Flasche Wasser hin. Das Flugzeug rollt noch auf der Flugpiste und ich beobachte die Landschaft. Der Orange Horizont lässt mein Herz sofort höherschlagen. Palmen die sich links und rechts aneinanderreihen, eine höher als die andere. Die Sonne steht schon ziemlich tief, vermutlich wird es in den nächsten paar Minuten schon dunkel werden.


Zu unserem Glück mussten wir nicht allzu lange auf unser Gepäck warten. Wir verlassen den Flughafen und sofort umspielt ein salziger Duft meine Nase. Ich atme tief ein und aus und fülle meine Lungen mit dieser Meeresluft. Wie ich diesen Geruch vermisst habe. »Oh mein Gott, Ayla, wir sind im Urlaub!«, kreischt Patrizia in mein Ohr und sofort muss ich lachen. Die Sicherheit ist wieder zu ihr zurückgekehrt. Wir rufen uns ein Taxi und lassen uns zu unserer Unterkunft bringen. Während der Fahrt blicke ich aus dem Fenster und beobachte, wie die Landschaft an uns vorbeizieht. Die Ortschaft, an der wir unseren Urlaub verbringen werden, heisst Kalamaki und befindet sich im südlichen Teil der Insel. Ich kann mir bis jetzt noch nichts darunter vorstellen, aber gemäss Patrizia heisst das übersetzt Strohhalm. Patrizia hat griechische Wurzeln, auf die sie aber nicht unbedingt stolz ist. Ihr Vater hat sie und ihre Mutter verlassen, als sie noch ein kleines Kind war und sie hatte nur noch ihre Grossmutter, die ihr griechisch beibrachte. Doch als diese vor einige Jahren verstorben ist, hörte ich Patrizia kaum mehr griechisch sprechen. Wir biegen in eine schmale Strasse ab, die umgeben von Grün ist. Als wir an einem Kiosk vorbeifahren und ich die farbigen Luftmatratzen und Ringe sehe, beginne ich langsam zu realisieren: Ich bin im Urlaub!


Wie sich herausstellte, ist unsere Unterkunft kein Hotel, sondern eine Pension. Normalerweise bin ich über alles sehr informiert, wenn ich in den Urlaub fahre, doch dieses Mal waren meine Gedanken nur bei Leon gewesen. Oder sind es noch immer. Patrizia und ich erhalten die Schlüssel und wir betreten ein kleines, aber feines Zimmer mit einer Terrasse. Mir gefällt unsere Unterkunft. Eine grosse Wiese trennt die anderen Zimmer voneinander. In der Mitte befindet sich eine grosse Terrasse mit einer Tischgarnitur und daneben steht eine Hängematte. Ich male mir aus, wie ich mit einem Buch in der Hand auf der Hängematte liegend lese, oder mir die vorbeiziehenden Wolken anschaue. Instinktiv fahre ich mit den Fingern über mein Tattoo und muss an Leon denken.


Wir laufen an dem Kiosk vorbei, welcher ich auf der Taxifahrt vorhin gesehen habe. Unsere Pension ist etwas abgelegen, aber dennoch fühlen wir uns hier sicher. Als wir die Hauptstrasse erreichen, ist es vorbei mit der Stille. Restaurants reihen sich links und rechts nebeneinander, eins leuchtet heller als das andere. Jugendliche mit starkem englischen Akzent die auf ihren Quads johlen oder mit Getränken in den Händen über die Strasse rennen. Jugendlicher Leichtsinn, denke ich und muss lachen. Patrizia hebt vergnügt die Augenbrauen nach oben und stosst mich mit dem Ellenbogen an. »Naaaa. Lust auf Party?«

»Lass uns zuerst etwas essen, du kleine Partymaus.« Patrizia war schon immer eine Partymaus gewesen. Und hier scheint es genug davon zu haben. Fast am Ende der Hauptstrasse finden wir eine kleine, fast schon unscheinbare Taverne. Ich werfe einen Blick in

die Terrasse, aus der griechische Musik zu hören ist und sehe, dass die Taverne gut besetzt ist. Der junge Kellner empfängt uns mit einem freundlichen Lächeln und bringt uns zu einem freien Tisch. Etwas, was ich den Griechen hoch anrechnen kann, ist deren Gastfreundschaft, einer der Gründe warum ich gerne in diesem Land meinen Urlaub verbringe. Ein Blick auf die Karte genügt und mir läuft das Wasser im Mund zusammen. Patrizias grosse Augen verraten mir, dass es ihr genauso geht. Wir bestellen unser Essen und ich lehne mich entspannt zurück. Diese Art von Leichtigkeit habe ich die letzten Monate vermisst. Der Kellner kommt mit der Flasche Wein zu uns an den Tisch und schenkt ihn ein. Patrizia und ich stossen zusammen an: »Auf unseren Urlaub!« »Hmmm. Melitis. Wie ich diesen Wein vermisst habe!« Patrizia leckt sich genüsslich mit der Zunge über die Lippen und bei diesem Anblick muss ich lachen. »Ohja, ich auch! Und auf das Essen kann ich es auch kaum abwarten!« Wir haben uns beide für das griechische Ofengericht Moussaka entschieden und dazu noch leckere Schrimp Saganaki.


Das Essen war köstlich und als wir unseren letzten Schluck Wein ausgetrunken haben, kommt der junge Kellner mit zwei Gläsern durchsichtiger Flüssigkeit in der Hand zu uns an den Tisch. Er braucht mir nicht einmal zu sagen, was sich in den langen, schmalen Gläser befindet. Ich kann es schon erahnen: Ouzo. Das Lieblingsgetränk der Griechen.

»Jámas!« stossen Patrizia und ich zusammen an.

Wir warten auf unsere Rechnung als wir plötzlich eine unbekannte Stimme Patrizias Namen rufen hören. Obwohl nur nach Patrizia gerufen wurde, drehe auch ich mich um, um zu sehen, woher diese unbekannte Stimme kommt. Als sich zwei junge Männer, in unserem Alter, sich uns nähern, schaue ich fragend zu Patrizia. Doch auch auf ihrem Gesicht befinden sich Fragezeichen. Plötzlich erhellt sich ihr Gesicht. »Dimitrios?« höre ich Patrizia beinahe kreischen und dann erkenne ich ihn: Dimitrios, Patrizias Cousin. Den habe ich an ihrem 18. Geburtstag vor einigen Jahren gesehen, als er und seine Familie nach Zürich gekommen sind, um ihren Geburtstag zu feiern. Damals sah er jedoch noch ganz anders aus. Zwar hatte er schon einen leichten Bartwuchs, aber im Vergleich zu jetzt war das nichts. Völlig verdutzt steht Patrizia auf und umarmt ihren Cousin. Patrizia und Dimitrios unterhalten sich auf Griechisch. Den jungen Mann neben Dimitrios bemerke ich erst, als sich unsere Blicke treffen. Hat er mich die ganze Zeit angeschaut? Er lächelt verlegen und ich lächle zurück. »Ich kann es nicht glauben! Dimitrios ist hier auf der Insel im Urlaub! Ayla, kannst du dich noch an ihn erinnern? Damals sah er nicht so männlich aus und hatte auch nicht diese breiten Arme.« Sie deutet auf Dimitrios der mir schüchtern zuwinkt. Ich stehe auf und begrüsse Dimitrios mit einer Umarmung. »Hallo Ayla, schön dich wiederzusehen.« Sein Lächeln hat sich über die Jahre nicht verändert. »Das ist mein Kumpel Elios.« Dimitrios legt seine Hand Elios Schultern und wir begrüssen uns. »Ihr seid hier im Urlaub?« Patrizia kann es noch immer nicht fassen. Ihr Vater und ihre Verwandten leben alle in Athen. Normalerweise fliegt Patrizia nach Athen, um Urlaub zu machen. Doch seit dem Tod ihrer Grossmutter, war sie nicht mehr dort. Das wir uns für einen Urlaub auf Zakynthos entschieden haben, war ihre Idee. Manchmal glaube ich, sie vermisst ihre griechische Familie, will sich aber ihrem Vater nicht stellen.

»Also eigentlich bin ich hier, um Elios mit dem Geschäft zu helfen. Er und sein Bruder sind hier selbständig. Und zuhause ist nicht viel los, deshalb dachte ich, ich helfe ihnen ein bisschen.« Dimitrios lächelt Elios aufmunternd zu.

»Das ist ja grossartig!« Patrizia klatscht in die Hände.


Zusammen mit Dimitrios und Elios machen wir uns auf die Suche nach einer für uns passenden Bar. Ich mag es Urlaub in Griechenland zu machen, doch manchmal sind mir die laute Musik, die betrunkenen Engländer und die aufdringlichen Restaurantbesitzer zu viel. Patrizia weiss das und sucht deshalb immer einen Ort aus, an dem wir uns in Ruhe unterhalten aber trotzdem amüsieren können. Wir betreten den Aussenbereich einer Bar, aus der Techno-Beats zu hören sind und sich junge Leute gemütlich unterhalten. Die Atmosphäre scheint genau das zu sein, was wir gesucht haben. Als wir unsere Drinks erhalten haben, stossen wir alle miteinander an. Patrizia und Dimitrios unterhalten sich intensiv miteinander. Die haben wohl einiges nachzuholen. Ich freue mich für Patrizia. Elios lächelt mich immer wieder an. Seine goldbraunen Augen strahlen förmlich wie die Sonne, die am Himmel thront. Ich erwidere sein lachen, weiss jedoch nicht, worüber ich mich mit ihm unterhalten soll. Normalerweise bin ich eine sehr gesprächige Person und mag es auch, neue Leute kennenzulernen. Ich höre mir gerne die Geschichten anderer an und was sie zu sagen haben. Aber seitdem ich Leon kennengelernt habe, habe ich mich nur auf ihn konzentriert. Wieder schleicht er in meinen Gedanken herum. Um mich von Leon abzulenken, widme ich mich Elios:

»Was ist das für ein Geschäft, welches du und dein Bruder führt?«

»Wir haben ein Fahrzeugunternehmen eröffnet, wo wir Roller, Quads und andere Fahrzeuge vermieten.« Elios strahlt förmlich, wenn er von seinem Geschäft spricht. Sein Englisch ist sehr gut, vermutlich hat er schon öfters mit Touristen gearbeitet.

»Das klingt ja super! Patrizia und ich wollten uns sowieso ein Roller mieten, damit wir die Insel ein bisschen erkunden können. Kennst du dich gut aus hier auf Zakynthos?«

»Ja, ihr könnt gerne bei uns vorbeischauen. Dann mache ich euch einen Spezialrabatt.« Elios zwinkert mir zu und sofort muss ich lächeln. Er trinkt einen Schluck von seinem Amaretto Sour und fährt fort: »Mein Bruder und ich leben seit fünf Jahren hier, ein bisschen kenne ich mich also schon aus.« Elios lächelt mich an und ich kann nicht anders, als miteinstimmen. Wie schon einige Male heute Abend.

Elios und ich unterhalten uns noch eine Weile und er erzählt mir, wie schwer es anfangs für ihn und sein Bruder war, hier Fuss zu fassen. Weil es schon viele Fahrzeugverleihe auf der Insel gibt, wurde ihre Geschäftsidee mehrfach abgelehnt. Trotzdem haben sie es geschafft und bauen sich seit einigen Jahren etwas auf, was ihnen in Zukunft bestimmt viel bringen wird. Ich mag die Art wie Elios von seinem Unternehmen spricht, das scheint eine wahre Herzensangelegenheit zu sein. »Du hast ein schönes Lachen«, sagt Elios und schaut mich mit seinen goldbraunen Augen an. Verlegen trinke ich von meinem Mojito und merke, wie mir eine Wärme in die Wangen steigt. Das muss an dem Drink liegen.


Wir verabschieden uns voneinander und Patrizia und ich machen uns auf den Weg nach Hause. Es war ein langer Tag und voller Überraschungen. Mit Dimitrios hätten wir beide nie im Leben gerechnet und mit Elios und seinem unwiderstehlichen Lächeln schon gar nicht. Wer weiss, welche Überraschungen noch auf uns zukommen werden.

Fortsetzung folgt...

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written by Celine 

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