
Patrizia und ich betreten den Fahrzeugverleih Akropolys, wo uns Dimitrios und Elios herzlich begrüssen. Hinter den Tresen steht ein Mann, den ich etwas älter einschätze als wir, vielleicht so Mitte Dreissig. Er hat die gleichen Augen und dunkle schwarze Haaren wie Elios, die er zu einem Pferdeschwanz gebunden hat. Sofort muss ich an Leon denken. »Kalimera. Ich bin Lambros«, stellt sich der Mann hinter den Tresen vor. »Mein Bruder.« Elios zieht die Lippen zu einem Lächeln. Sofort stimme ich mit ein.
Wie versprochen bekamen wir für unseren Roller einen Spezialrabatt. Da nur Patrizia einen Führerausweis besitzt, ist sie die Fahrzeuglenkerin. Wir setzen unsere Helme auf und machen uns auf den Weg zu unserem ersten Strandbesuch, den uns Elios und Lambros empfohlen haben: Porto Roxa Beach. Der Strand befindet sich auf Südwesten der Insel und dauert etwa vierzig Minuten von Kalamaki aus. Ich war überrascht, als uns Dimitrios den Standort des Fahrzeugverleihs Akropolys geschickt hat und der nur 10 Gehminuten von unserer Unterkunft entfernt war. Die Strassen auf der Insel sind sehr kurvig und steinig. Die Sonne brennt auf unserer Haut und der Fahrtwind lässt unsere Haare tänzeln. Patrizia fährt auch in Zürich oft mit ihrer Vespa, weshalb sie sich auf dem Roller sehr wohlfühlt. In Porto Roxa angekommen heissen uns grosse Wellen und ein starker Wind willkommen. Wir wurden von den anderen gewarnt, dass es hier windiger ist als im Norden. Trotzdem wollten wir uns von dem türkisblauen Wasser selbst überzeugen lassen. Wir bezahlen unsere Liegen und machen uns sofort auf den Weg zum Wasser. Mit wackeligen Beinen stehe ich auf dem Sprungbrett und schaue ins blaue Wasser unter mir. Ich nehme etwas Anlauf, schliesse die Augen und springe ab. Kurze Zeit später befinde ich mich im Wasser, wo mich eine angenehme Kälte umhüllt. Ich durchbreche die Oberfläche und blicke in das breite Grinsen von Patrizia. Wie habe ich dieses Gefühl vermisst. Am Meer kann ich sie fühlen, die Leichtigkeit. Die ich zuhause nicht habe. Ausser wann ich mit Leon war. Sofort verschwindet mein Lächeln. Patrizia scheint es bemerkt zu haben, denn sie spritzt mir Wasser ins Gesicht. Ich revanchiere mich bei ihr und wir brechen in ein herzhaftes Gelächter aus.
Wir liegen bequem auf unsere Liegen und unterhalten uns, als jemand unsere Namen ruft. Wie auf Kommando drehen wir uns um, und Blicken in die bekannten Gesichter von Dimitrios und Elios. Mit ihnen hatten wir wieder einmal nicht gerechnet. Sie legen sich neben uns auf die freien Liegen und wir unterhalten uns zusammen. Auf der Arbeit ist nicht viel los und ich bemerke, wie Elios Blick an Freude verliert, als wir darüber reden. Ich versuche ihn etwas aufzumuntern und zu ermutigen. »Mit Patrizia und mir werdet ihr wohl oder übel die ganze Woche in eurem Laden rechnen müssen.« Ich zwinkere ihm zu und sofort ist da sein Lächeln wieder. »Ich habe langsam Hunger«, sagt Patrizia und streichelt ihren Bauch. »Ich kann uns oben im Restaurant was zu essen holen?«, schlage ich vor. »Ich komme mit.« Elios steht schon neben mir, bevor ich auf drei zählen kann. Wir gehen die Treppen zum Restaurant hoch und bestellen uns was zu essen. Unter anderem griechischen Salat, Pita Brot mit Zaziki. Elios bestellt sich noch Taramosalata, eine Fischrogen-Paste, die ich noch nie zuvor probiert habe. Während wir auf unser Essen warten, setzen wir uns auf einer der freien Tische. Mein Magen beginnt zu knurren, und zwar so laut, dass auch Elios es hören kann. »Da scheint jemand hungrig zu sein«, scherzt er. Irgendwie bin ich peinlich berührt und lächle verlegen. Warum verunsichert mich seine Anwesenheit so? »Mein Magen kann vom griechischen Essen nie genug bekommen.« »Das kann ich mir gut vorstellen. Die griechische Küche steht auf der Kulinarischen Rangliste ziemlich weit oben.« »Eigentlich nicht so weit wie die Mexikanische oder die Japanische Küche, aber bei mir jedenfalls steht sie ganz weit oben.« Wir lachen zusammen und auch mein Magen gibt seinen Senf dazu. »Dann musst du unbedingt mal in die Taverne eines guten Freundes von mir kommen. Seine Spezialität sind Spaghetti in Ouzo-Sauce und Schrimps. So etwas hast du garantiert noch nie probiert!«, sagt Elios begeistert. Bei der Vorstellung läuft mir das Wasser im Mund zusammen. »Echt jetzt! Das muss ich unbedingt Patrizia sagen, dann können wir zusammen dorthin gehen.« Als ich diese Worte ausgesprochen habe, verändert sich etwas in Elios Miene. Gerade als er etwas sagen will, bringt der Kellner unser Essen. Mit vollen Händen laufen wir zu unseren Liegen, wo wir unser Essen ausbreiten und uns alle hungrig drauflosstürzen.
Ich weiss nicht, wie lange ich geschlafen habe, aber als ich meine Augen öffne ist der Himmel goldgelb gefärbt und die Sonne steht schon tiefer am Horizont als noch vor ein paar Stunden. Verwirrt blicke ich mich um, um nach den anderen zu sehen. Doch von ihnen fehlt jede Spur. Ich schlüpfe in meine Wasserschuhe und bewege mich Richtung Bucht, wo ich mir eine Abkühlung gönnen will. Auch hier fehlt jede Spur von ihnen. Ich klettere die Treppen des Sprungbrettes hoch und springe diesmal, ohne zu zögern ins Wasser. Wieder umarmt mich diese angenehme Kälte. Ich liebe es im Wasser zu sein. Hier ist alles so leicht, alles so zeitlos. Nach meinem kurzen Tauchgang klettere ich die Felsen hoch und kehre zu unserem Platz zurück. Von Weitem erkenne ich Elios‘ dunkle Locken und als hätte er gespürt, dass ich auf ihn zulaufe, dreht er sich zu mir um. Unsere Blicke treffen sich und ich spüre ein Kribbeln in meiner Magengegend. Habe ich etwa schon wieder Hunger? »Wo sind die anderen?« »Patrizia und Dimitrios sind oben im Restaurant und ich war eben noch im Wasser.« Seine nassen Haare glänzen von der Sonne. Ich lege mich auf meine Liege neben ihm und geniesse die sanfte Wärme der Sonne. Ich liebe es während dieser Zeit am Strand zu sein. Der Wind ist angenehm warm und der Himmel mit allen Farben der Sonne gefärbt. Golden hour. »Auf Porto Roxa kann man die Sonne sehen, bis sie untergeht. Das kann man im nördlichen Teil der Insel nicht.« Elios setzt sich auf und richtet sein Blick zum Horizont. »Ich mag diesen Ort hier. Das Wasser ist wirklich so kitschig blau wie ihr beschrieben habt und auch die Stimmung hier ist der Wahnsinn. Ich könnte stundenlang hier so liegen bleiben. Ich liebe Sonnenuntergänge.« Obwohl ich die Augen geschlossen und das Gesicht zur Sonne gerichtet habe, kann ich Elios Blicke auf mir spüren. Eine angenehme Wärme breitet sich in meinem Körper aus. »Ich mag Sonnenuntergänge auch. Sie haben etwas Hoffnungsvolles an sich. Die Sonne verabschiedet sich von uns, aber trotzdem kann man sie leise flüstern hören: Wir sehen uns morgen wieder.« Überrascht über Elios Worte drehe ich mich zu ihm um und unsere Blicke treffen sich erneut. Seine Augen leuchten golden von der Sonne. Unwillkürlich muss ich lächeln. Wie macht er das? »Ja. Das hast du schön beschrieben. Hoffnung ist das, was uns irgendwie lebendig macht. Findest du nicht?« Ich mag es tiefgründige Gespräche zu führen, aber normalerweise öffne ich mich denjenigen, die ich gut kenne. Doch Elios strahlt eine solche Vertrautheit aus, dass ich nicht nachdenke, bevor ich spreche. Er schaut mir tief in die Augen und obwohl ich weiss, ich sollte lieber wegschauen, ist mein Blick wie von ihm gefesselt. Ich verliere mich in diese goldenen Augen und in dieses bezaubernde Lächeln. »Na ihr zwei, geniesst ihr den Sonnenuntergang?« Patrizias Stimme ist lauter als sonst. »Hey, alles klar bei euch?« etwas verunsichert schaue ich zu Dimitrios der nur mit den Schultern zuckt. »Eigentlich wollten wir uns nur ein Glas Wein holen, aber dann wurden es doch zwei Gläser Ouzo mehr.« Dimitrios lächelt mich schief an. Na toll. »Sie kann so nicht mehr fahren.« Meine besorgte Seite drängelt sich an den Vordergrund. »Natürlich kann ich noch fahren! Ich bin die beste Fahrerin, die es auf dieser Welt gibt.« Patrizia klatscht in die Hände. Sie kann definitiv nicht mehr fahren. »Kein Problem, Elios und ich fahren euch zurück. Wir sind zusammen mit einem Roller gekommen.« Die Leichtigkeit, die die golden hour mit sich gebracht hatte, ist auf einmal verschwunden. Wir packen unsere Sachen und machen uns auf den Weg zurück.
Patrizia sitzt mit Dimitrios auf einem Roller und ich setze mich hinter Elios. Wir setzen unsere Helme auf und fahren los. Vorsichtig lehne ich mich an Elios breiten Rücken und umarme seine Taille. Unter seinem T-Shirt kann ich seine Muskeln spüren. Zwar fühle ich mich bei ihm nicht so wohl wie bei Patrizia, doch durch seine selbstsichere Art kann ich mich etwas entspannen und lehne mich noch fester an ihn. Ich blicke zum Horizont, wo die Sonne schon ganz tief steht. Der Himmel sieht aus wie ein Kunstwerk. Einfach unglaublich. Der Fahrtwind tanzt wieder mit unseren Haaren und Elios locken bewegen sich rhythmisch auf und ab. Elios beherrscht das Fahrzeug gut und lenkt kurvigen Strasse mit einer Geschmeidigkeit. Schneller als mir lieb ist, befinden wir uns wieder auf der Landstrasse. Kalamaki ist nicht mehr weit entfernt. Auf einmal spüre ich Elios Hand auf meiner und erschrocken blicke ich zu ihm hoch. Im Seitenspiegel kann ich erkennen, dass er lächelt. Erneut kribbelt es in meiner Magengegend. Ich lehne mich wieder an seinen Rücken und kann während der restlichen Fahrt nicht mehr aufhören zu lächeln.
Fortsetzung folgt...
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