
Wir befinden uns im östlichen Teil der Insel. Elios hat von einem wunderschönen Ort gesprochen, ich bin gespannt, was er mir zeigen will. Es ist schon weit nach Mitternacht und stockdunkel. Ausser die Gegenlichter der Fahrzeuge, die uns entgegenfahren, ist nichts zu sehen. Würde ich Elios nicht so sehr vertrauen, würde ich jetzt niemals hier sein. Die Angst vor der Dunkelheit ist viel zu gross. Ich klammere mich etwas fester an Elios‘ Körper und er legt behutsam seine Hand auf meine. Sofort fühle ich mich wohler. Seine sanften Berührungen hinterlassen warme Spuren auf meiner Haut. Er biegt scharf ab und wir fahren Aufwärts eine schmale Strasse entlang. Ich richte meinen Blick zum Horizont und sehe, wie das Meer unter uns immer kleiner zu werden scheint. Oben angekommen stellt Elios den Motor ab und hilft mir vom Roller zu steigen. Wir setzen uns auf einer der Bänke, die zum Meer gerichtet sind. Es ist stockdunkel und ausser dem Mondlicht, dass auf der Wasseroberfläche schimmert, ist nichts zu sehen. »Das ist einer meiner Lieblings-Aussichtspunkte.« Von der Aussicht können wir jedoch nicht viel sehen. Doch ich glaube ihm. Diese Aussicht muss bei Tag bestimmt sehr schön sein. Elios setzt sich neben mich und nimmt meine Hand in seine. Ich lasse zu, dass wir uns näherkommen, denn durch seine Anwesenheit fühle ich mich beschützt. Ob es hier Wildschweine gibt? Oder Bären? Wahrscheinlich weniger. Aber Schlangen. Ja, diese gibt es hier bestimmt. »Alles okay bei dir?« Elios scheint bemerkt zu haben, dass ich mir in Gedanken die schlimmsten Szenarien ausmale: wie ich von einer Schlange gebissen werde, oder wie wir von einem wilden Tier angegriffen werden und die Klippe runterspringen müssen. Oder… Elios legt seinen Arm um meine Schulter und zieht mich näher an sich. Noch immer angespannt lege ich meinen Kopf auf seine Schulter und versuche mich zu entspannen. Sein süsser Honigduft umspielt meine Nase und sofort muss ich lächeln. »Ja, alles okay«, sage ich schliesslich und geniesse die Zeit mit ihm auf der Bank und der Dunkelheit. Wir unterhalten uns sehr lange. Wir reden über unsere Träume, was unsere Lieblings Star-Wars Figur ist, worüber wir uns als Kind gefreut haben oder über unseren ersten Kuss. Ich erzähle ihm, wie ich als Kind immer Angst hatte vor dem Alleinsein und wie ich noch heute manchmal Angst davor habe. Elios hat keinen Filter. Bei ihm kann ich einfach ich sein. Ich brauche mich nicht zu verstellen oder mich von meiner besten Seite zu zeigen. Mit ihm kann ich lachen. Ich dachte nach Leon werde ich dieses Gefühl nie wieder haben, aber Elios ist dabei, mein in Stücke zerrissenes Herz wieder zusammenzusetzen. Stück für Stück setzt er behutsam wieder zusammen. Ich wollte es beschützen, wollte niemand an diese einzelnen Stücke heranlassen, doch Elios hat es geschafft. Mit seiner liebevollen und vertrauensvollen Art hat er sich langsam in mein Herz geschlichen. Wir blicken beide zum Horizont der immer heller zu werden scheint. Ich schaue auf meine Uhr und stelle erschrocken fest, dass wir schon seit über drei Stunden auf dieser Bank sind und reden. Elios scheint genauso fassungslos zu sein und ohne ein Wort zu sagen, brechen wir in Gelächter aus. So habe ich mich schon lange nicht mehr gefühlt. So leicht. So sorglos. So frei. »Was hat dein Wolken-Tattoo eigentlich zu bedeuten?« Elios streicht sanft mit seinem Finger über meinen Unterarm. Unwillkürlich muss ich an Leon denken. Lila Wolken sind dafür da, um weiterzuziehen. Das hatte er mir vor einigen Monaten gesagt. Aber damals wollte ich nicht weiterziehen. Ich wollte mit ihm an dem Ort bleiben, wo sich unsere Geschichte befand. Doch heute weiss ich, dass er recht hatte. Ich bin weitergezogen. Und bin jetzt an einem Ort, wo es mir viel besser gefällt. »Es bedeutet, dass jede Wolke weiterzieht. Es bleibt nicht immer dunkel, irgendwann wird alles wieder lila.« Noch nie war ich so offen zu jemanden gewesen, den ich in so einer kurzen Zeit kennenglernt habe. Ich lehne mich an Elios Schulter an und wir schauen der Sonne zu, wie sie uns am Horizont begrüsst. »Hörst du die Sonne, wie sie uns zuflüstert: Hallo, da bin ich wieder.« Elios zieht mich näher an sich und ich drehe meinen Kopf in seine Richtung. »Die Hoffnung ist das, was uns lebendig macht.« Ich will noch etwas hinzufügen, doch dann spüre ich schon seine weichen Lippen auf meinen. Seine Hand wandert meinen Hals entlang hoch zu meinen Wangen und er nimmt mein Gesicht sanft in beide Hände. Ich verkrieche meine Hände in seine dunklen Locken und ziehe sanft sein Gesicht näher an meinen Mund. Honigduft umspielt meine Nase und ich fühle mich als würde ich auf einer lila Wolke liegen und am Himmel entlangschweben. Leicht, ich selbst und glücklich. Wir lösen uns voneinander und Elios lächelt sein Lachfaltenlächeln. Ich verschränke meine Finger in seinen und so bleiben wir eine Weile sitzen. Der Tag bricht langsam ein und ich kann verstehen, wieso Elios diese Aussicht hier so sehr mag; die Sonne färbt den Himmel mit orangen Farben. Die Landschaft vor uns lässt sich immer besser erkennen. Während wir der Sonne zuschauen, wie sie langsam aufgeht, kann ich diese Hoffnung spüren, die Elios immer beschreibt. Hoffnung, dass das mit uns gut ausgehen wird.
Ende.
Fazit
Projekt-Sommer war für mich eine Herzensangelegenheit. Nicht nur der Schreibprozess und die Umsetzung haben mir grosse Freude bereitet, sondern auch das Teilen meiner Kurzgeschichte. Es war schön zu sehen, wie die Geschichte von euch gelesen wurde!
Ob es mit Ayla und Elios weitergeht oder ob es bei einem unvergesslichen Sonnaufgang in
Zakynthos endet, weiss ich noch nicht. Ich schliesse nichts aus.
Ein grosses Dankeschön an allen, die sich die Zeit genommen haben, meine Geschichte zu lesen und mich somit unterstützt haben!
Written by Celine
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