
Blick auf die Uhr: 19:00 Uhr. Ich setze mich auf die Bank, der Bahnhof ist leer. Ein kühler Wind zieht an mir vorbei und lässt mich frösteln. Ich nehme mein Notizbuch zur Hand, wähle das richtige Lied aus und setze den Stift an.
Blick auf die Uhr: noch dreizehn Minuten. Ich schlüpfe aus meinen Sandalen und setze mich im Schneidersitz hin. Am Himmel bilden sich Gewitterwolken, schwach kämpfen sich Sonnenstrahlen durch. Ich mache ein Foto vom Himmel. Vielleicht zeige ich es dir. Irgendwann.
Blick auf die Uhr: noch acht Minuten. Mein Blick fällt auf das Schild vor mir: «Überschreiten der Gleise verboten». So viele Dinge sind verboten, und trotzdem tun wir es. Ein Schnellzug zieht an mir vorbei und lässt mein Haar herumwirbeln. Ich ziehe meine Jacke enger.
Blick auf die Uhr: fünf Minuten. Der Bahnhof füllt sich langsam mit Menschen, die auf den Zug warten. Warten, so wie ich. Kleine Tropfen fallen auf das Papier, doch ich ignoriere sie. Schreibe weiter, immer weiter. Über alles, was mir durch den Kopf geht. Vor allem aber, über dich.
Blick auf die Uhr: zwei Minuten. Ich habe Fragen, so viele Fragen. An das Leben und an dich. Wer kann mir die Antworten auf all die Fragen geben? Vielleicht du?
Blick auf die Uhr: 19:18 Uhr. Der Zug fährt ein. Hastig packe ich meine Taschen, schlüpfe in meine Sandalen und renne dem Zug entgegen. Drücke auf den Knopf und steige ein. Und obwohl ich so lange gewartet habe, habe ich ihn beinahe verpasst.
Blick auf die Uhr: 19:19 Uhr. Der Zug fährt los. Ich setze mich ans Fenster, schaue auf die grüne Landschaft, mein Notizbuch noch immer in der Hand. Ich überspringe das nächste Lied, setze den Stift an, und beende meinen Text:
«So ist das manchmal im Leben, wenn man zu lange auf den richtigen Moment wartet, verpasst man ihn.»
Und dieses Foto vom Himmel, das werde ich dir nicht zeigen. Denn wir haben uns schon lange verpasst.
Zürich, Oktober und November 2023
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